Die Prinzipien

"Prinzip"

heißt Grundlage, Grundsatz. Grundlegendes hat mit dem Selbstverständnis zu tun. Aus Grundsätzen ergibt sich das Selbstverständnis, aber das Selbstverständnis wird auch in der Begegnung mit der aktuellen Wirklichkeit verändert, und damit ist auch eine jeweilige Interpretation der Grundsätze verbunden.

So wurden die Prinzipien „religio“, „scientia“ und „amicitia“ in den Jahren 1871 oder 1933 anders verstanden als heute. War z.B. mit dem Grundsatz „religio“ im Jahre 1871 die klare Stellungnahme katholischer Korporationen gegen die offene Benachteiligung katholischer Studenten und Akademiker im preußischen Kulturkampf vollzogen worden, so war es 1933 die Gegnerschaft zum antireligiösen, totalitären Nationalsozialismus. Heute bedeutet „religio“ nicht so sehr politische Stellungnahme, sondern sein Engagement gegen eine wertindifferente, gesättigte Wohlstandsgesell­schaft, in der und in die hinein aus dem christlichen Glauben heraus Zeichen zu setzen sind.

Dennoch darf bei einer Darstellung dieser geistigen Grundlagen unseres Verbandes nicht die historische Dimension außer Acht gelassen werden. Die Entstehung der katholischen Korporationen ist als Reaktion auf den säkularisierten Staat des 19. Jahrhunderts zu verstehen. Durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 waren den Kirchen ein Großteil der Besitztümer entzogen worden, sie somit ihrer finanziellen Grundlage ledig geworden, durch die sie, ebenso wie der Staat zur Unterstützung und Pflege der neuen Aufgaben in Wissenschaft und Kunst bedurfte. Die Aufhebung vieler alter Hochschulen in katholischen Staaten, wie in Köln, Paderborn, Mainz, Trier, Bamberg, Dillingen, eine ungenügende Gestaltung anderer, wie in Münster, machte den Katholiken den geistigen Wettbewerb mit den bevorzugten protestantischen Ländern unmöglich. Hinzu kam ein kirchenfeindlicher Liberalismus, der sich auf vielfältige Weise äußerte, gleichwohl aber auch als Gegenausschlag zu dem geistigen Herrschaftsanspruch der Kirche im Mittelalter und in der Neuzeit zu verstehen ist.

Selbstverständlich erzeugte dieser Druck eine entsprechende Gegenwirkung. Geistige Führer dieses romantisch inspirierten Katholizismus waren u.a. Görres, Brentano, Lasaulx. Wesentlich für das Verständnis des auch politischen Katholizismus in Deutschland ist die Zeit des Kulturkampfes in Preußen und im Deutschen Reich (1870-1886). Durch die Konfrontation zwischen Staat und katholischen Einrichtungen wurden diese gezwungen, die Angriffe abzuwehren. Zu einer solchen Verteidigung brauchten sie ein entsprechendes Rüstzeug: neben dem Bekenntnis des Glaubens mußten sie ihre Existenzberechtigung beweisen, sowohl gegenüber den Behörden als auch gegenüber der akademischen Umwelt. Später kam noch die latente Katholikenfeindlichkeit im akademischen Kulturkampf (Hochschulstreit) 1904/05 zum Ausbruch, der von Jena ausging, der ein Konflikt in erster Linie zwischen Corps, Burschenschaften und einem Teil des Lehrkörpers einerseits und andererseits katholischen Korporationen war. Den Herausforderungen des totalitären NS-Staates konnten sich die katholischen Verbindungen nur begrenzt erwehren, zumeist bis 1935/36. In diesen Jahren führten wenige im Verborgenen ein eingeschränktes Vereinsleben, das ganz auf die Bewahrung für eine andere, bessere Zeit gerichtet war, das aber gleich nach dem Kriege wieder aufblühte durch zahlreiche Reaktivierungen und Neugründungen. Einen erneuten Einbruch brachten die Studentenunruhen ab 1968, die Reform, Kritik und Infragestellung von Institutionen und Traditionen auf ihre Banner geschrieben hatten. Andererseits darf eine beliebige Interpretation nicht zu einer be­quemen Anpassung der Prinzipien führen. Um einer solchen, stets bestehenden Gefahr zu begegnen, ist es unbedingt notwendig, sich die Substanz der einzelnen Prinzipien zu verdeutlichen.

Unsere Prinzipien sind: Religion, Wissenschaft und Freundschaft.


Religion

In der KV-Satzung heißt es: „Im Sinne des Grundsatzes Religion versteht sich der KV als eine auf katholischem Glaubensverständnis gegründete und aus katholischer Glaubensinitiative hervorgehende Gemeinschaft von in Kartellvereinen zusammengeschlossenen Kartellangehörigen, die bestrebt sind, miteinander aus dem Glauben an Christus zu leben und sich diesem Glauben entsprechend in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu engagieren.“

Auffallend an dieser Begriffsfassung ist die Betonung der Außenwirkung, das Fordern eines christlichen, eines katholischen Enga­gements. Diese Forderung mag auf den ersten Blick für viele fremdartig erscheinen, da in der heutigen Zeit Religion zuerst einmal als Privatsache angesehen wird und auch immer mehr die gesellschaftliche und politische Relevanz von Religion bezweifelt wird.

„Religion“ also nur als diffuse Gefühligkeit, die sich schwer damit tut, die übersetzung in rationale Rechenschaft und lebensmäßige Verbindlichkeit zu leisten? Religion ohne Kirche, also Trennung zwischen religiösem Vollzug und religiöser Institution und ohne die Macht der Vermittlung zwischen beiden?

Was heißt auf diesem Hintergrund dann aber: religio als Prinzip für das Leben des einzelnen Studenten und Akademikers und für eine Gemeinschaft von Studenten und Akademikern? Die Antwort kann nur thesenhaft und in einer Zielangabe erfolgen.

Zunächst einmal bedeutet es Verstehen im Sinne des Sich-Stellens der Wirklichkeit ohne Angst und Furcht. Für die Bewährung des christlichen Glaubens ist es notwendig, daß er die Kraft zur kritischen Synthese mit dem jeweiligen Denken in der geschichtlichen Epoche aufbringt, um eben die so notwendige Vitalität und Glaubwürdigkeit aufzubringen, die die Verkündigung des Evangeliums erfordert.

Zum anderen muß der christliche Glaube sich auf das eigene Leben auswirken. Das setzt zunächst eine reflektierte Aneig­nung der Aussagen des Evangeliums voraus, die erst den Blick dafür öffnet, welche Deute- und Weisungskraft darin auch und besonders für unsere Zeit liegen. Entscheidend ist jedoch über die Reflexion hinaus ein weiterer Schritt: die übersetzung ins persönliche Leben.

Außerdem muß sich der Glaube aber auch auf die Gemeinschaft auswirken, denn christlicher Glaube ist von allem Anfang an auf das Miteinander, auf die gemeinsame Nachfolge in Sinne des Evangeliums angelegt. Gemeinschaft, gerade Gemeinschaft des Glaubens, bedarf ebenso der inneren Entschiedenheit wie der Offenheit nach außen.

Die Korporation muß ihr Betätigungsfeld also ebenfalls außerhalb des eigenen Rahmens in Hochschule und Gesellschaft finden, wo es genügend Möglichkeiten für ein Engagement gibt.

Wissenschaft

„In Sinne dieses Grundsatzes erstrebt der KV in Offenheit für die vielfältigen, weltanschaulichen Positionen eine über das Fachgebiet hinausgehende Bildung der Kartellangehörigen, die von dem Bewußtsein der sozialen Verpflichtung getragen und mit dem Bemühen um die Bewältigung für die Gesellschaft bedeutsamer Aufgaben und Funktionen verbunden ist.“ (KV-Satzung)

Wissenschaft - das lenkt den Blick zunächst auf die Situation an der Universität. Universität heute, das heißt Massenuniversität und das gilt praktisch für alle Fakultäten; das heißt aber auch Spezialisierung, so daß kaum Raum für eine notwendige Allgemeinbildung bleibt.

An diesen beiden Punkten hat die Arbeit einer Verbindung für ihre Mitglieder anzusetzen: einmal, dem einzelnen das Gefühl zu geben, daß er nicht hilflos im akademischen Alltag mittreibt, sondern seine Lage selbst beeinflussen kann, z.B. durch seinen Einsatz in der Hochschulpolitik; zum anderen sollen die Semesterprogramme so gestaltet sein, daß ein, wenn auch zwangsläufig begrenzter, Einblick in die Problemstellung anderer Fachbereiche gegeben wird.

Zudem ist jedem einzelnen der Kontakt zu Studenten anderer Fachbereiche ermöglicht durch die BbBb, die anderen Fakultäten angehören, um so auch den eigenen Erfahrungs- und Wissenshorizont zu erweitern. Neben diesem, die Allgemeinbildung betreffenden Aspekt muß das Bemühen um das eigene Studium stehen, das „richtige“ Studium im Sinne eines zielgerichteten, konsequenten Lernens, wobei gerade fortgeschrittene Studenten den Jüngeren wertvolle Hilfe leisten können, z.B. bei der sinnvollen Studienverlaufsplanung und bei der Lösung von Fachproblemen.

Für den Verein bedeutet das, ein Klima zu schaffen und zu pflegen, das es dem einzelnen ermöglicht, neben seiner Aktivität im Bund sich dem Studium so zu widmen, daß er dieses in angemessener Zeit abschließen kann. Ziel dieser Anstrengungen soll es sein, den Kartellangehörigen eine solche Bildung zu verschaffen, daß sie ihrer Rolle und Verantwortung als Akademiker gerecht werden können und befähigt sind, wichtige fachübergreifende Aufgaben in Gesellschaft und Staat zu erfüllen.

Freundschaft

„In Sinne des Grundsatzes „Freundschaft“ bietet der KV den Kartellangehörigen die Möglichkeit, eine über sachbezogene Zusammenarbeit hinausgehende Zuwendung zum anderen zu verwirklichen und dadurch ein höheres Maß an Verständnis und Toleranz auch für die überzeugung Andersdenkender zu erreichen; daraus erwächst kartellbrüderliche Verbundenheit.“

Das Prinzip „Freundschaft“ fand erst 1880 Einzug in die Statuten. Vorher hieß das dritte Prinzip „studentische Geselligkeit“.

Eine Erklärung für diese Tatsache liefert die Zeit der Gründerjahre: Eine relativ kleine Anzahl katholischer Studenten bildete eine Korporation. Neben dem eifrigen Streben zur Verwirklichung der ersten beiden Prinzipien suchte man einen Ausgleich in der Entspannung und Fröhlichkeit. Als im folgenden die Korporationen jedoch immer größer wurden, lockerte sich die innere Zusammengehörigkeit immer mehr. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, fand schließlich als drittes Prinzip „amicitia“ Eingang in die Satzung.

Freundschaft - wie ist dieser Begriff nun als Prinzip zu verstehen, eben als Grundsatz unseres Verbindungslebens, wo es doch echte Freundschaft nur zwischen zwei Menschen geben kann?

Freundschaft als Prinzip soll zum Ausdruck bringen, daß die Mitglieder der Verbindung durch ein Band zusammengehalten werden, welches mehr bedeutet als bloße Kameradschaft: sie bilden eine Lebensgemeinschaft.

Aus dem Gedanken des Lebensbundes soll sich ein Verhältnis entwickeln, das über eine rein pflichtmäßige Verbundenheit dem Verein und der Kameradschaft den BbBb gegenüber möglichst weitgehend sich echter Freundschaft annähert. Diese Freundschaft soll auch über das Studium hinaus fortdauern und nicht abrupt abbrechen. Sie setzt sich fort durch die Mitgliedschaft im Altherrenverein und durch ständigen Kontakt mit der Aktivitas und dem Ortszirkel des jeweiligen Wohnortes. Erst in einer solchen Verwirklichung der Freundschaft als Lebensgemeinschaft findet das Prinzip Freundschaft seinen Sinn: im Austausch und Füreinander zwischen Alt und Jung, der sich nicht nur in der Pflege studentischer Traditionen ausdrückt.

Die drei Prinzipien heute - Bewahrung und Bewährung

Bewahrung - das ist ein vielfach provozierendes Wort mit dem Beigeschmack von Konservierung und des Abbremsens neuer Anstöße. Ist diese Bewertung nicht eine willkürliche Auffüllung dieses Begriffes, die die eigentlichen Intentionen überdeckt? Diese Frage ist angesichts der schweren Krise, die fast alle KV-Vereine in den 70er-Jahren durchstehen mußten, und die zum Untergang vieler Aktivitates führte, berechtigt. Zu jener Zeit wurden alle Elemente des Verbindungslebens, wie die Prinzipien, der Komment, die konfessionelle Ausrichtung, in Frage gestellt, wobei es fast immer zu einer gefährlichen Polarisierung der Meinung zwischen Aktiven und Altherrenschaft kam, die einen fruchtbaren Dialog oft unmöglich machte. Vielfach lösten sich diese Probleme entweder durch das Eingehen der Aktivitas, oder aber durch einen „Generationswechsel“ innerhalb der aktiven Mitglieder etwa ab Ende der siebziger Jahre. Dieser brachte auch einen Wechsel in der Einstellung zu den Prinzipien und Traditionen mit sich. Diese Rückbesinnung führte dabei nicht zu einer Erstarrung, sondern vielmehr zu einem Vitalitätsschub, der sich unter anderem in dem rasanten Mitgliederzuwachs gerade der wertorientierten Vereine deutlich ablesen läßt.

Bewährung - dieser Aspekt kam schon in den letzten Sätzen zum Ausdruck. Soll die Verwirklichung unserer Prinzipien richtig verstanden werden, so muß sie sich an der gegenwärtigen Situation der Studierenden im allgemeinen und an der des einzelnen orientieren. Zu dieser Wahrnehmung ist eine regelmäßige Diskussion darüber notwendig, wie die drei Prinzipien innerhalb und auch außerhalb des Vereins gelebt werden können. Stichworte für solche Gespräche sind unter anderem: Massenuniversität, fächerüberspannender Kontakt, Akademikerarbeitslosigkeit, Wissenschaft und Religion, Komment, Chargieren, Kontakt mit der Altherrenschaft. Erst an der Bewährung mißt sich die Daseinsberechtigung der Prinzipien „religio“, „scientia“, „amicitia“ und damit des Vereins insgesamt. Die eigentliche Bewährung findet dabei aber im Leben jedes einzelnen statt.